I’ve Been This Way Before

Überraschung: Dieses Album ist keineswegs eine weitere unter vielen (berüchtigten) „Greatest Hits“-Veröffentlichungen Neils. Aber von vorn – inzwischen konnten viele das Werk bereits ein bis drei Mal durchhören und sich in der Tat davontragen lassen vom Gesamteindruck. 

Neil Diamond arbeitet diesmal mit dem „London Symphony Orchestra“ zusammen. Was nicht bedeutet, dass die aufgelisteten Songs einfach schön mit einer Garnitur Streicher eingespielt wurden. Die Trackliste beinhaltet zwar altbekannte und -bewährte Evergreens, diese sind jedoch in unterschiedlicher Weise vom symphonischen Sound beeinflusst worden.

Einige werden in ihrer Wirkung lediglich akzentuiert und verstärkt („Heartlight“), andere wechseln die Stimmung („Song Sung Blue“) und im Falle des diamondschen signature Songs „I Am I Said“ kommt ein völlig anderer Song zum Vorschein, bei dem lediglich der Text bekannt ist. Ob das gefällt, muss jeder für sich entscheiden. 

Den Anfang macht jedenfalls „Beautiful Noise“, das bereits auf Neils letzter Tour ein anderes, damals recht dezentes Arrangement verpasst bekam. Auf dieser Platte hören wir es als hymnisches Fanfaren-Intro, es führt uns mit dem Ausdruck von Erhabenheit ins Werk ein; feierlich, royal und fern jedes Mitklatschimpulses. Der ’schöne Lärm‘ wird stattdessen zur zeremoniellen Festmelodie und man ist irgendwie gefesselt. Was kommt da noch? 

Tja, wer das lange Intro in der Filmversion von „Hello Again“ genossen hat, bekommt nun ordentlich was auf die Ohren. Die emotionale Dramatik wird durch den schwellenden Orchestersound grandios verstärkt, und Mr. Diamonds Stimme ist -wie in jedem einzelnen Stück hier- so kraft- und ausdrucksvoll wie eh und je. Das ist wirklich wunderschön anzuhören, es berührt. Hello again.  

Dann: kommt „I Am…I Said“. In einem völlig neuen Gewand, die ersten Töne sind nicht wiederzuerkennen. Melodie und Ausdruck sind anders als jede Version, die man bisher davon gehört hat, und der Song klingt nicht mehr nach dem Aufschrei einer gequälten Seele, sondern nach altersweisem Rückblick in gereifter Gelassenheit. I am…I said, ich bin dann mal weg! Los- und die Seele freilassen, Ballast abwerfen. So klingt es… Im Ausdruck erinnert es an die Leichtigkeit des breit interpretierten Klassikers „Gentle on My Mind“ und fasziniert in seinem Anderssein und seiner Authentizität. Neil Diamond 3.0. Aber es ist eben nicht „I Am…I Said“ in seiner Essenz, und das muss man als Fan erstmal verkraften. 

Die langsame Version von „I’m a Believer“ hingegen kennen wir schon von vergangenen Touren und der Song bekommt so ein anderes Gewicht. Hier befreit sich der Songwriter von der allgegenwärtigen Performance der „Monkees“ und lässt durch das schwergewichtige Arrangement mit dem LSO den Text herausarbeiten, der immer über dem leichtgewichtigen Boyband-Lalala stand. Auch hier muss man sich allerdings daran gewöhnen, den Song nicht als uptempo Fingerschnipp-Matrize, sondern als „ernsthaftes“ Lied wahrzunehmen. Wenn man das kann, ist es recht hübsch. Wenn nicht, tönt es vielleicht lahm oder gar langweilig. 

Vom relativ Bekannten geraten wir beim Weiterhören dann wieder auf neues Terrain: „Song Sung Blue“ kommt mit dem geträllerten HAN-Intro „This is not a sad song…“, mündet aber nicht, wie erwartet, in schunkelndem Frohsinn, sondern überrascht mit getragener Melancholie. „I know“, schiebt Neil mehrfach am Ende ein und hier hört man eher tatsächlich das „blue“, „weeping like a willow“ als den Umschwung zur guten Laune. I am, I said, a song sung blue. Interessant, apart, anders, …gut! 

„September Morn“ war natürlich schon immer orchestertauglich, auf diesem Album wächst das Stück von der Schwoofromanze zum Musicaldrama und das bekommt dem Lied auch recht gut. Weiterhin trägt Neils Stimme jeden Song (während er vor 21 Jahren noch grandios am „Movie Album“ und dessen Über-Songs gescheitert ist, passen seine eigenen Stücke im Symphoniegewand hervorragend in die Umgebung). Selbiges gilt für „You Don’t Bring Me Flowers“, „Heartlight“ und „Love on the Rocks“, deren differenzierte Melodien und bildhafte Sprache wie geschaffen sind für einen großorchestralen Rahmen. Sie verändern sich aber dadurch wenig in Ausdruck und Aussage. 

Wow, und nun zu „America“, das weitere literarische Überhöhung erfährt . Im Text wird ja eh und je schon die quasi-Nationalhymne  „My Country, ‚tis of Thee“ zitiert, nun hören wir eine neue Einleitung, die da lautet: 

Give me your tired, your poor,
Your huddled masses yearning to breathe free,
The wretched refuse of your teeming shore.
Send these, the homeless, tempest-tossed to me,
I lift my lamp beside the golden door!

Diese Zeilen stammen aus „The New Colossus“, das Sonett von Emma Lazarus (einer jüdischen Dichterin) ist am Fuß der Freiheitsstatue eingraviert. Es präsentiert Lady Liberty als Leuchtturm zur Freiheit, es zieht Parallelen zum Koloss von Rhodos, einem der sieben Weltwunder der Antike. Eine passende Einleitung für einen Song über Amerika als Hafen der Immigranten aus aller Welt. Bereits in der Filmversion im „Jazz Singer“ Soundtrack wurde „America“ mit Streicherbesetzung performt, nun erfährt das Arrangement weitere Ausgestaltung, was in der überbordenen Dramatik durchaus zu einem Song passt, der seit Jahrzehnten zum patriotischen Repertoire der USA gehört. 

Während das zitierte dramatische Arrangement für „I’ve Been This Way Before“ (eins der absoluten Highlight-Stücke auf diesem Album) in seiner dignifizierten Erhabenheit der perfekte Rahmen ist und keine zerredende Beschreibung benötigt, verändert es für „Play Me“ wiederum völlig die Stimmung. Das Lied, das einst als schlicht-perfekte Liebeserklärung mit Einfachheit bestach, wirkt nun beschwert, lahm und dabei erdrückend. Immer noch schön wie eine Arie, aber die bestechende Leichtigkeit des Originals ist nun einer hymnischen Schwere gewichen, m.E. much! too much für dieses Meisterwerk. „Play Me“ – ja, aber lieber auf der Gitarre, nicht in symphonischer Masse.  

Die „Sweet Caroline“ hat Neil dann mit einem akzentuierten Bolero-Rhythmus versehen. Hier kann man die Ebenen der schönen Melodieführung besser heraushören und als deutlich komplexer als gewohnt wahrnehmen, aber das fast überfrachtete Arrangement lässt den leichten, ja simplen Text irgendwie verloren wirken. Ein VW-Käfer-Motor in Mercedes-Maybach-Karosserie. Oder so. 😉 

Was ist denn Eure Meinung zu dem Album? 

Mich hat es jedenfalls sehr positiv überrascht, ich mag, wie mit den Songs „gearbeitet“ wurde und wie schön das alles anzuhören ist. Neil klingt unverwüstlich ausdrucksstark wie eh und je. 

Wer über die Kargheit der Rick Rubin-Alben entsetzt war, kann alsdann ordentlich im Bombast schwelgen. Und „Classic Diamonds“ eignet sich hervorragend als Hintergrundmusik für Dinnerparties, sollten diese irgendwann wieder einmal möglich sein. 

Schreibt mal -was sind Eure Favoriten?
„Classic Diamonds“ –  Yay or nay? 

Von mir gibt’s jedenfalls eine Kaufempfehlung 🙂 

Aleta

NDFan seit 1989 und bisher nicht mehr losgekommen. 1999, 2008, 2011, 2015 und 2017 in London, Köln und Oberhausen, Mannheim, Amsterdam und Hamburg live dabei. 🙂

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9 Antworten

  1. JDExpert sagt:

    Danke, Aleta, Du hast mir das Schreiben einer eigenen Kritik abgenommen. Genau so sehe/höre ich das Album auch (ohne die Hintergrundrecherche zu „America“, das ist Expertenwissen, das mir schlicht fehlt). „Beautiful Noise“ hat mich bereits bei den ersten Tönen der Piccolo-Trompete gepackt, und „I’ve Been This Way Before“ ist der Hammer; „Play Me“ eindeutig überladen und etwas lahm. Usw. usf.

  2. summerlove sagt:

    Danke für die Kritik. Habe bisher nur die Schnipsel in der Werbung gehört. Werde das Werk in jedem Fall kaufen.
    Kann mir jemand den Unterschied zwischen der “ normalen“ und der “ de luxe“ Version erklären?😉

  3. Eva Maria Wolf sagt:

    Wunderschön wird Neils Stimme von der Symphonie umspielt um nicht zu sagen etwas überspielt so da0 man anfangs dachte es sei ein anerer

    Song.. Leider blieb die Dramaturgiedie die der Text enthält in der Vertonung unberücksichtigt die da lautet:: Ich bin . sagte ich! Was soviel heißt :; Ich existiere ich lebe, ich bin da, wohlwisseend daß niemand zuhört und daß es wirklich niemanden interessiert, nicht einmal der Stuhl. Eine Leere die er spürt hält ihn gefangen. „Ich fühle mich verloren und weiß nicht mal .warum“ Diese Not kommt in alten Versionen durch das Innehalten der Töne und der Stimme im Staccato-rhythmus sehr gut zum Ausdruck ….

  4. Heartlight sagt:

    Die Deluxe ist mit Farbbild vorne und Plastikhülle. Die Normale ist SW-Bild und Papphülle. Oder war’s umgekehrt. Keine Extras bei Deluxe. Der geneigte Sammler kauft dann beides…

  5. 12 Songs sagt:

    Meine Favoriten : Holly Holy
    I’m A Believer
    Play Me
    I’ve Been This Way Before
    Heartlight
    ND und Orchester das passte schon immer gut zusammen…obwohl ich „12 Songs“ sehr liebe….er kann beides ! Über die Feiertage werde ich tief in das Thema eintauchen.

  6. elisabeth sagt:

    „Die Deluxe ist mit Farbbild vorne und Plastikhülle. Die Normale ist SW-Bild und Papphülle. Oder war’s umgekehrt. Keine Extras bei Deluxe. Der geneigte Sammler kauft dann beides…“ Heartlight
    Es ist umgehkehrt: die DELUXE ist scharz-weiß und in Papphülle !!!

  7. Aleta sagt:

    Übrigens hat Neil sich schon vor den „Classic Diamonds“ auf Lazarus‘ „New Colossus“ bezogen: sowohl in „America“ selbst, wo sich die Zeile „we huddle close“ recht eindeutig auf die „huddled masses“ bezieht.

    Und darüber hinaus in „Captain of a Shipwreck“, wo er den distinktiven Begriff „tempest-tossed“ ebenfalls verwendet. 🙂

  8. 12 Songs sagt:

    Jazz Singer DVD auf Blu ray auf Deutsch ab dem 29.01.2021….Deutsche Erstveröffentlichung bei Amazon !

  9. Starflight sagt:

    Ich finde, dass der gesprochene Text sehr gut zu “ America “ passt und auch sehr passend von Neil vorgetragen wurde. Das gibt dem Song eine ganz besondere Note. Auch “ Holly holy “ gefällt mir sehr gut. Geht vom Gesang her auf die Wurzeln zurück. Habe mir die LSO als Schallplatte gekauft und sie mir schon mehrmals angehört.

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